Wird eine Kollisionsgefahr oder eine Nahbereichslage erkannt, so ist bei verminderter Sicht ein Manöver zur Vermeidung des Nahbereichs einzuleiten – sofern möglich. In diesem Fall gibt es keinen Kurshalter.
Wenn die Fahrzeuge einander in Sicht haben (man kann beispielsweise die Lichter des anderen sehen), ist der Fall anders gelagert. Dann ist zu ermitteln, welches der Fahrzeuge ausweichpflichtig und welches kurshaltepflichtig ist.
Im folgenden gehen wir von verminderter Sicht aus und gehen weiter davon aus, dass der Gegner nichts unternimmt.
Wir werden sehen, dass die KVR in Regel 19 klare Vorgaben für Ausweichmanöver vorschreibt, so dass ein Manöver eines Fahrzeuges nicht die Maßnahme eines anderen Fahrzeuges kompensieren kann. In der Regel verstärken sich die Maßnahmen, so dass eher ein noch größerer Passierabstand entsteht, als wenn nur ein Fahrzeug reagiert.
Für Manöver stehen prinzipiell zur Verfügung:
- Kursänderung (nach Backbord oder Steuerbord)
- Geschwindigkeitsänderung (Beschleunigung oder Fahrtreduzierung bis hin zum Aufstoppen)
Wie sich eigene Manöver auf die Relativbewegung auswirken
Betrachten wir zunächst einmal die prinzipielle Wirkung der Möglichkeiten. Ob dabei bestimmte Manöver nach Regel 19 unerlaubt sind, blenden wir in diesem Abschnitt aus – das wird im nächsten Abschnitt untersucht.
Nehmen wir dazu einmal folgende Lage an:

Die nachfolgenden Zeichnungen geben nur das qualitative Verhalten der Relativbewegungen wieder.
Fahrtreduzierung
Bei einer Fahrtreduzierung knicken alle Relativbewegungen vorlicher ab.

Fahrterhöhung
Bei einer Erhöhung der Eigenfahrt knicken alle Relativbewegungen achterlicher ab.

Kursänderung nach Steuerbord
Bei Kursänderungen ist als weiterer Aspekt zu beachten, welchen relativen Kurs die Kontakte inne haben.
Die Relativbewegungen der Kontakte, deren Relativkurs Eigenem Kurs ± 90° entspricht, knicken bei einer Kursänderung nach Steuerbord nach links ab. (in diesem Fall Relativkurse von von 330° über Nord bis 150°)
Die Relativbewegungen der Kontakte mit entgegenkommenden Relativ-Kursen (eigener Kurs+180° ± 90°) knicken bei einer Kursänderung nach Steuerbord nach rechts ab.

Kursänderung nach Backbord
Bei einer Kursänderung nach Backbord verhält es sich genau entgegengesetzt.

Manöver bei verminderter Sicht nach Regel 19 KVR
Bei verminderter Sicht hat man jedoch nicht die freie Auswahl des Manövers sondern man muss die Regel 19 der KVR beachten.
Fahrt verringern ist jederzeit möglich – ja sogar vorgeschrieben, wenn man im Vorausbereich das Schallsignal eines anderen Fahrzeuges hört und man die Möglichkeit einer Nahbereichslage nicht sicher ausschließen kann.
Fahrt erhöhen ist sicher nur im begrenzten Rahmen möglich, denn Regel 6 – Sichere Geschwindigkeit – will eingehalten werden.
Gegenüber einem Fahrzeug im Vorausbereich ist eine Kursänderung nach Backbord verboten; gegenüber Fahrzeugen im Achterausbereich ist es verboten, durch eine Kursänderung auf diese zuzudrehen.
Für unsere verzwickte Lage aus dem letzten Abschnitt gilt demnach:
- Kursänderung nach Backbord ist verboten, da B und C im Vorausbereich geortet werden. Außerdem ist Fahrzeug D im Backbord Achteraus-Bereich, was ebenfalls eine Kursänderung nach Backbord verbietet, da dies ein Zudrehen auf Kontakt D bedeuten würde.
- Kursänderung nach Steuer ist verboten, da sich Fahrzeug E im Steuerbord Achteraus-Bereich befindet.Eine Kursänderung nach Steuerbord würde ein Zudrehen auf Kontakt E bedeuten.
- Fahrterhöhung auf mehr als 5 kn schließen wir wegen Einhalten der Sicheren Geschwindigkeit aus
- Somit bleibt nur Fahrtreduzierung
Ausweichmanöver mit vorgegebener Kursänderung
Nach den qualitativen Betrachtungen, wie sich Relativbewegungen prinzipiell ver halten, wollen wir nun die tatsächliche Wirkung von Manövern ermitteln.
Wie zuvor erwähnt gehen wir davon aus, dass der Gegner kein Manöver einleitet; somit wird der Vektor der Gegnerbewegung eine Konstante in der Zeichnung.
In unserer begleitenden Aufgabe soll um 12:20 ein Kursänderung um 60° nach Steuerbord auf 120° durchgeführt werden. Bestimmen Sie den neuen CPA (Richtung, Distanz)
Zur Ermittlung dieser Ergebnisse wird zunächst der neue eigene Kursvektor auf 120° mit gleichbleibender Fahrt von 5kn eingetragen und aus diesem Vektor sowie der zuvor ermittelten absoluten Gegnerbewegung (332° mit 7,4 kn) das neue Dreieck gezeichnet.
Die Verbindungslinie zwischen absoluter (neuer) Eigenbewegung und Gegnerbewegung ist die neue Relativbewegung. (KBrneu = 319°, vBrneu = 11,9kn, für den, der es heraus messen möchte)
Diese Bewegung wird parallel in den 12:20 Punkt verschoben.

Der neue CPA ergibt sich in rwP=049° mit einem Abstand von 3,2 sm. (und wird um 12:39 erreicht werden)
Ausweichmanöver mit vorgegebener Fahrtänderung
Nun soll um 12:20 anstatt einer Kursänderung eine Fahrtreduzierung auf 3kn eingeleitet werden.
Wie verändert sich nun der CPA?
Das Vorgehen ist analog wie zuvor:
Es wird zunächst der veränderte Eigenvektor gezeichnet (060° wie zuvor aber mit 3kn Fahrt) und aus diesem und dem Absolutvektor des Gegners das neue Dreieck konstruiert.
Die resultierende Relativbewegung (KBrneu = 310°, vBrneu = 7,9kn) wird wiederum parallel verschoben in den 12:20 Punkt.
In Peilung 040° Abstand 2,5 sm kann der neue CPA abgelesen werden. (TCPA: 12:52)

Ausweichmanöver mit vorgegebenem Passierabstand
Um 12:20 Uhr soll ein Manöver eingeleitet werden, das zu einem Passierabstand von 2,5 sm zum Kontakt führt.
Um diese Aufgabe zu lösen, wird zunächst die passende Relativbewegung gesucht. Um diese zu ermitteln, zeichnen wir einen Kreis mit dem gewünschten Abstand um das Eigenfahrzeug.
Die neue Relativbewegung muss diesen Kreis tangieren – einfacher gesagt: gerade berühren.
Dazu gibt es theoretisch zwei Lösungen; in Praxis fällt eine der beiden meisten Lösungen meist aus, da diese oft nur mit übermäßig großen Geschwindigkeiten zu erreichen sind – aber 42kn sind selten mit einer Segelyacht zu erreichen.
In diesem Fall entfällt Variante (b).

Die neue Relativbewegung wird so verschoben, dass sie am Vektor der absoluten Gegnerbewegung endet.

Nun betrachten wir zwei mögliche Manöver:
- Fahrtreduzierung und
- Kursänderung
Die Fahrtreduzierung wird einfach am ursprünglichen Eigenfahrtsvektor (060° mit 5kn) an der Stelle gefunden, wo dieser die (verschobene) Relativbewegung schneidet.
In diesem Fall: 2,9kn.
Für die Ermittlung einer Kursänderung betrachten wir die Kursänderung nach Steuerbord. Den passenden Kurs findet man, indem man den Schnittpunkt der Relativbewegung mit dem 5kn-Kreis sucht. In diesem Fall 097°.

Vollständigkeitshalber sei auch noch die Kursänderung nach Backbord auf 343° erwähnt, da auch dort ein Schnittpunkt der Relativbewegung mit dem 5kn Kreis vorliegt.
Dies führt zu einer sehr geringen Relativgeschwindigkeit und entspricht einem mitlaufendem Kurs.
Neben der großen Geduld und großem Umweg ist diese Kursänderung auch nach Regel 19 nicht erlaubt.